"Rehasport ist für mich eine Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe"
Der Spaziergang zu ihrem Rehasportkurs gehört zu den Aktivitäten, auf die sich Gaby Lievenbrück besonders freut. Einmal wöchentlich trifft sie sich mit ihrer Herzsportgruppe im Gemeinschaftssportverein Gold-Kraemer. „Die Bewegung ist nicht nur wichtig für mein Herz-Kreislauf-System, sie tut mir im Allgemeinen gut“, sagt die 71-Jährige.
Die Kölnerin besucht die inklusive Gruppe in Frechen und hält sich dort fit, seit sie aufgrund einer verschleppten Herzmuskelentzündung mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat. „Kurz nach dem Tod meines Mannes fingen die Schwierigkeiten an“, schildert sie. „Ich bekam immer schlechter Luft. Zunächst wusste aber niemand, woran das liegen könnte. Mehrmals war ich mit dem Notarztwagen in der Klinik und es hieß, es sei alles in Ordnung. Dann wechselte ich den Hausarzt und dieser handelte rasch. Erst nach vielen Untersuchungen stand die Ursache fest.“
Lievenbrück wurde therapiert, suchte darüber hinaus aber auch nach einer Möglichkeit, selbst etwas für ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit tun. Durch den Hinweis einer Bekannten wurde sie auf den Rehasport aufmerksam und kam über Umwege zur Gold-Kraemer-Stiftung. „Ich bin total glücklich und sehr dankbar, dass ich trotz meines Handicaps mitmachen darf“, betont Lievenbrück, für die der Kurs auch soziale Teilhabe bedeutet.
Was das Sporttreiben für sie zusätzlich erschwert: Gaby Lievenbrück ist seit 14 Jahren blind. Dadurch hat sie Schwierigkeiten, überhaupt passende Sportangebote zu finden. Denn diese müssen in ihrem Fall gut erreichbar sein und eine Teilnahme möglich machen. Ohne eine Hilfe oder Begleitung während des Kurses ist dies kaum machbar. Umso glücklicher ist Gaby Lievenbrück, in Frechen unweit ihres Hauses im Kölner Stadtteil Lövenich ihre sportliche Heimat gefunden zu haben.
Das Rehasportangebot des Gemeinschaftssportvereins gehört zu den Tätigkeitsbereichen der Gold-Kraemer-Stiftung, die beispielsweise Menschen mit Behinderung unterstützt, uneingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.
Seit dem Tod ihres Ehemanns 2019 lebt Lievenbrück allein und versorgt sich selbst. Sie führt ein selbstbestimmtes Leben. Immer an ihrer Seite: Blindenhund Nieven, ihr treuer Begleiter. Mit seiner Unterstützung meistert die Seniorin ihren Alltag. Beide sind ein eingespieltes Team – und darüber ist die Kölnerin sehr glücklich. „Ich bin nach einer der letzten Operationen erblindet und war dadurch traumatisiert“, erinnert sie sich. „Ich war froh, dass mein Mann mir geholfen und mich motiviert hat. So habe ich nach meiner Reha mein Schicksal in die Hand genommen und mir Hilfe geholt. Schritt für Schritt habe ich mein Leben neu aufgebaut und meine Umgebung kennengelernt.“
Dass es im Leben einer blinden, alleinlebenden Frau aber nicht nur gute Tage gibt, das könne sich wohl jeder denken, fügt die 71-Jährige an. Dass die Menschen um sie herum ihr vielfachen Respekt dafür zollen, wie sie ihren Alltag meistert, das freut die Kölnerin auf der einen Seite. Es komme allerdings auch vor, dass sie auf Ablehnung stoße, erzählt Lievenbrück. „Die Leute machen das nicht immer extra. Früher war ich viel unter Menschen, habe mich mit anderen Frauen getroffen, war gut informiert. Das ist jetzt leider anders“, sagt sie. „Ich bekomme vieles zu spät mit. Teilhabe an der Gesellschaft scheitert oft an mangelnder Information und Begleitung. Das macht einsam.“
Umso wichtiger seien daher regelmäßige Veranstaltungen wie der Herzsport. Der wöchentliche Sport und die Bewegung bereichern in vielerlei Hinsicht den Lebensalltag der 71-Jährigen, die betont: „Ich möchte den Herzsport nicht mehr missen und bin froh, dass ich in der Gruppe mitmachen kann. Als blinde Person in einer Gruppe von Sehenden akzeptiert zu werden, ist wie ein Sechser im Lotto für mich.“
Vom ersten Moment an habe sie sich wohlgefühlt und sei wunderbar aufgenommen worden. Bianca Dobke leitet den Reha- und Gesundheitssport im Verein Gold-Kraemer. „Bianca ist sehr einfühlsam und kompetent in der Unterstützung der Menschen mit Handicap“, betont Lievenbrück. „Gerade ich muss ja in vielerlei Hinsicht gefördert werden.“
Das Kursangebot ist auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden ausgerichtet. Auf jeden werde individuell eingegangen. Jeder trainiert nur so viel, wie er kann. „Ältere Menschen wie ich haben meist noch Begleiterkrankungen wie Rücken- oder Knieschmerzen. Auch darauf wird Rücksicht genommen“, betont Lievenbrück.
Neben der ausgebildeten Kursleitung ist eine Ärztin anwesend, die die Gruppe medizinisch betreut und sie, wenn nötig, bei den Übungen unterstützt. „Ich kann im Gegensatz zu anderen nicht sehen, was die Kursleitung vormacht. Mir muss jemand die Übungen verbal erklären, damit ich sie verstehe.“
Das erfordere hohe Konzentration und Aufmerksamkeit und koste sie zusätzlich Kraft. Aber der Aufwand lohne sich, betont die 71-Jährige. „Ich habe längst nicht mehr diese starke Atemnot. Mir geht’s gesundheitlich besser, seit ich Rehasport treibe. Das merke ich auch in meinem Alltag.“
Lievenbrück möchte betroffene und ebenfalls erkrankte Menschen unbedingt dazu animieren, den Rehasport auszuprobieren. Neben der Verbesserung der eigenen Leistungsfähigkeit hilft die regelmäßige Bewegung dabei, ein Gespür dafür zu entwickeln, wo die eigenen körperlichen Grenzen liegen, und bekämpfe die Einsamkeit. „Ich kenne viele blinde Menschen, die sitzen zu Hause und haben Scheu, rauszugehen. Ich kann immer nur sagen: Geht raus an die frische Luft. Versteckt euch nicht. Ihr braucht Bewegung!“
Weitere Infos zum Rehabilitationssport und der Kampagne "Rehasport ist für mich..." finden Sie hier.
Quelle: Stefanie Bücheler-Sandmeier / DBS